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Internationale Nachkriegskunst aus den Bereichen Grafik, Malerei, Fotografie, Indonesien, Mixed Media, Skulpturen, Streetart und Buchkunst
  
Kunsthandwerk aus den Bereichen Textilien, Indonesien, Asiatika, Glas/Keramik/Porzellan, Uhren, Schach und Antik/Vintage
Meine Damen und Herren, heute stelle ich Ihnen das Werk von ROKU vor. ROKU – das ist der ehemalige Flugzeugführer GERHARD SCHOLZ. Manche sagen auch, das ist der Mann, der die alte Schule in Klein-Umstadt restauriert hat. Roku ist ein paradigmatischer Künstler. Er ist heute persönlich hier. Sie dürfen ihn nachher alles fragen, was Sie wollen. Ich begrüße ihn recht herzlich. Meine Damen und Herren, soeben habe ich Roku einen paradigmatischen Künstler genannt. Aber was ist das eigentlich? Das erklärt der Kunsttheoretiker BORIS GROYS so: „Der paradigmatische Künstler von heute ist weniger ein Produzent als vielmehr ein exklusiver, vorbildlicher Verbraucher der anonym produzierten und in unserer Kultur immer schon zirkulierenden Dinge. Man kann behaupten, dass im heutigen Kunstsystem nicht mehr neue Produkte, sondern allein neue Haltungen, Konsummuster und Wünsche entstehen. Nicht dass der Künstler einen bestimmten Gegenstand produziert hat“, sei entscheidend, sondern „dass er diesen Gegenstand verwandt hat – und zwar auf besonders interessante Art und Weise“. All das trifft auf Roku zu. Seine Werkzeuge sind die Kamera, der Computer und Acrylfarben.
Seine Werkschau trägt das Motto Algorithmen in ästhetischer Abstraktion. Was heißt das? Ein Algorithmus hat überhaupt nichts mit dem Rhythmus zu tun, auch wenn er so ähnlich klingt. Im Mittelalter hat ein Orientale mit unaussprechlichem Namen ein Buch geschrieben, das uns die indischen Ziffern brachte. Manche sagen auch, es wären arabische Ziffern. Wie auch immer: Diese Ziffern waren ein Riesenfortschritt für die Rechnerei, denn nun gab es zum ersten Mal eine Null. Seinen ellenlangen Namen will ich Ihnen heute nicht zumuten. Christliche Mönche vereinfachten ihn zu ALGUS und gaben dem Werk den Namen Dixit Algorismi – zu Deutsch: „Meister Algus hat gesagt“. Aus diesem Titel ist später der Algorithmus geworden – mit dem Rhythmus des Schlagzeugers in einer Rockband hat das also nichts zu tun. Ein Algorithmus ist nämlich in der Mathematik eine Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems. Man kann sich also einen Algorithmus als eine Reihe von Formeln vorstellen, mit denen komplizierte Aufgaben geknackt werden. Das ist vor allem für die Programme unserer heutigen Computer wichtig, denen man ja bekanntlich jeden Einzelschritt erklären muss. Ein Programm besteht aus vielen einzelnen Algorithmen. Ein einfacher Befehl, wie „Öffne eine Flasche Umstädter Wein“, löst demnach das Problem noch nicht. Wir brauchen einen Öffnungs-Algorithmus, der genau jeden Einzelschritt vorschreibt. Daneben benötigen wir natürlich die unerlässliche Hardware. Sie wissen schon: Einen Korkenzieher und die Flasche Wein selbstverständlich. Den Ablauf, genauer: den Algorithmus, kennt jeder Umstädter: Wenn vorhanden, Staniolpapier beseitigen, Korkenzieher hineindrehen, gleichzeitig vorsichtig ziehen und drehen – aber: wem sage ich das. Kommen wir zur Ästhetik: Das ist bei den alten Griechen die Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung. Alles, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen; Schönes – Hässliches – Angenehmes – Unangenehmes. Heute gebrauchen wir den Ausdruck meistens als Synonym für das Schöne oder das Geschmackvolle, das wir mit Wohlgefallen betrachten. Wir Philosophen berufen uns gern auf ANTHONY ASHLEY COOPER, den dritten EARL OF SHAFTSBURY, der um 1700 herum lebte. Er erklärte das unmittelbare Sinneserlebnis für hässlich. Das Schöne und damit gleichzeitig das Wahre, ja das Gute, erklärte er als Reflex der Vernunft, des Geistes auf dieses Sinneserlebnis. Die menschliche Seele verlange nach Ordnung, nach den richtigen Proportionen. Deshalb könne uns wahre Kunst durch ihre ästhetische Wirkung zum Guten erziehen.
Wie macht der Künstler so etwas? ROKU lädt meistens eines seiner Fotos in den Computer. Mit einer besonderen Software löst er virtuelle Schichten des Bildes ab, die er in Ebenen ablegt, einfärbt, solarisiert, mit unfassbaren Filtern bearbeitet. Logarithmen schaffen Energie in scheinbaren Nebenwelten – einem eigenen Universum. Aus einer Reflexion im Glas werden beispielsweise Strukturen, die er verändert, bis seine Augen so etwas wie kreative Harmonie erfahren. Den ‚Speichern Button‘ drückt ROKU erst, wenn das Werk als Ganzes und beim Betrachten kleinster Details in sich ruht. Das scheinbar fertige Bild wird dann auf Pappe oder auf eine Leinwand gedruckt. Ein Halbfertigprodukt ist das Ergebnis. Denn nun greift Roku zu Acrylfarben, die er behutsam aufträgt. Den Pinsel legt er erst aus der Hand, wenn er von der Perfektion seines Werkes überzeugt ist.
Meine Damen und Herren, achten Sie einmal darauf, wie viele seiner Bilder eine in sich ruhende Symmetrie aufzuweisen scheinen, solange man vier oder fünf Meter weit entfernt ist. Kommt man näher, löst sich die symmetrische Struktur meist auf und wandelt sich in ein ästhetisches Gefüge. Dabei könnte sein Ausgangsmaterial unterschiedlicher nicht sein. Das ist der Grund, warum seine Werke sich so stark unterscheiden. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern erkennt man ihn nicht an seinen Werken; sie haben nur selten etwas Typisches. Roku hat keine Masche. Einige seiner Bilder sind einfach nur schön. Andere haben durchaus einen ernsten Hintergrund. Betrachten Sie in Ruhe das Mahnmal Tugenden hier in der Mitte. In Zeiten, in denen die Hälfte unserer Kinder ‚ohne Bekenntnis‘ in der Schule angemeldet wird, fehlt manchem eine Richtschnur. Ein Wegzeichen, das ihm sagt, was Gut und was Böse ist. Die alten Griechen hielten sich an ihre Kardinaltugenden; sie strebten nach Weisheit, Mut, Mäßigung und Gerechtigkeit. Vielleicht sollten uns gelegentlich Graffiti an solche Tugenden gemahnen
Doch Kunst und Wirklichkeit leben in verschiedenen Welten. Schon PLATONS Schüler ARISTOTELES wusste: Gerade weil es keinen Weg aus dem Kunstwerk in die Realität gibt und auch keinen Weg von der Wirklichkeit in die Scheinwelt der Kunst, bereichert sie unsere Sichtweise, fügt also der Wirklichkeit einer tristen Welt etwas Wesentliches hinzu. Gemeint ist, dass die Kunst uns Dinge zeigt, die wir in der Realität gar nicht erkennen. Wie ich schon erwähnte, provozieren uns Kunstwerke zu Ideen zum Wesen der Dinge, die uns ohne sie nicht gekommen wären, zeigen uns wesentliche Zusammenhänge, die wir ohne sie niemals erkannt hätten. Das Beschäftigen mit Kunst könnte man ganz allgemein als ein Fitnessprogramm für das Hirn beschreiben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Kunstwerke existieren nach eigenen Gesetzen. Das sollte klar geworden sein. Wenn Sie nachher zufällig vor einem Kunstwerk mit ROKU selbst ins Gespräch kommen – ROKU oder GERHARD SCHOLZ ist heute persönlich anwesend und freut sich, auf alle ihre Fragen zu antworten – wenn Sie bei einem solchen Gespräch einmal etwas über seine Absichten oder Ansichten beim Schaffen eines Kunstwerkes erfahren sollten, passen Sie auf: Künstler sind keineswegs immer verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Zumindest wir Poeten stehen ja schon bei PLATON im Verdacht, beständig zu lügen. Wenn Sie also von ROKU tatsächlich etwas über seine Absichten beim Erschaffen seiner Kunstwerke erfahren sollten, so werden diese für Ihre Rezeption höchstens eine untergeordnete Rolle spielen: Ihre Wahrnehmung alleine entscheidet, was das Kunstwerk mit Ihnen macht. Jedes wahre Kunstwerk ist eine Anstiftung zum Selberdenken. Meine Damen und Herren: Die Ausstellung ist eröffnet.
Auszüge aus der Rede von Marc Mandel zur Ausstellungseröfnung in der Säulenhalle Groß-Umstadt am 11.11.2016
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